Im Umbruch: Die Anfänge des modernen Winzerfestes
Die 1920er Jahre waren für viele Berufszweige prekär. Noch vor der Weltwirtschaftskrise und deren Folgen, die sich ab 1930 zeigten, brachten Missernten und die wirtschaftlichen Belastungen des verlorenen 1. Weltkrieges viele Winzerfamilien an den Rand der Existenznot.
1928 ließ sich der Binger Verkehrsverein - eine Vereinigung, die die touristische Vermarktung Bingens voranbringen wollte - etwas einfallen: Der Verkehrsverein plante einen Weinwerbetag am letzten Oktobersonntag, dem traditionellen, verkaufsoffenen Mantelsonntag. An diesem Tag sollte ein gemeinsamer Winzerzug durch Bingen führen, der vom Verkehrsverein organisiert wurde (mehr zur Geschichte des Mantelsonntags bei Archivalien erzählen Geschichte(n): Der Mantelsonntag - heute und vor 100 Jahren).
Das klare Ziel formulierte Valentin Schaefer in einem Zeitungsbericht:
„Dieser Winzerfestzug steht im Dienste der Fremdenwerbung“
So beginnt der kurze Artikel des Mannes, der damals Mitglied im Verkehrsverein und von Beruf Polizist in Bingen war. Er wird 1946 die Winzerfest-Tradition wieder anstoßen. In jedem Jahr wurde das ehemalige Opfer des Faschismus' der neue Binger Bürgermeister.
Mit der neuen Weichenstellung begann der Umbruch vom traditionellen, alten Winzerfest zu unserem heutigen Fest. Die Entwicklung passierte kontinuierlich über mehrere Jahre.
Das Winzerfest 1928
Erstmals wird das Winzerfest zentral von einer Gruppe organisiert und ist touristisch und damit kommerziell orientiert.
Das Winzerfest 1929
Der Erfolg des Winzertages 1928 blieb nicht allein: Am letzten Oktoberwochenende 1929 fand abermals ein Winzertag statt, der wieder vom Verkehrsverein organisiert wurde. Dabei wurde die Veranstaltung erst kurzfristig geplant.
Das Winzerfest 1930
Die zweite Jahreshälfte 1930 war für Teile des linksrheinischen Deutschlands sehr ambivalent: Einerseits verschlimmerten die Folgen der Weltwirtschaftskrise die Lage des Mittelstandes noch mehr, andererseits fielen durch das Ende der Besatzungszeit am 30. Juni 1930 so manche Repressalien weg.
Der deutsche Weinbaukongress 1931
1931 war Bingen Gastgeber des 37. Deutschen Weinbaukongresses vom 29. August bis 2. September. 90 Weinanbieter offerierten ihren Wein, darunter einige Binger Weingüter.
Das Winzerfest 1932
Nun war die Veranstaltung gesetzt und wurde auf zwei Tage erweitert und gemeinsam von der Stadtverwaltung, den Weingütern und mehreren lokalen Vereinen geplant. Angekündigt wurden Sonderfahrten aus Düsseldorf, Köln und Wiesbaden zum Binger Winzerfest.
Das Winzerfest in der NS-Zeit
Das moderne Binger Winzerfest ist nicht während der NS-Zeit geboren worden, wurde aber während dieser Zeit flügge. Ein traditionelles Fest mit Wein am sagenumwobenen Mittelrhein und in direkter Nähe zum Niederwalddenkmal als Symbol der Stärke Deutschlands? Diese Gelegenheit nutzten die Nationalsozialisten und initiierten das Winzerfest als deutschtümelndes Volksfest.