Das Winzerfest 1930
Die zweite Jahreshälfte 1930 war für Teile des linksrheinischen Deutschlands äußerst ambivalent: Einerseits verschlimmerten die Folgen der Weltwirtschaftskrise die Lage des Mittelstandes noch stärker, andererseits fielen durch das Ende der Besatzungszeit am 30. Juni 1930 so manche Repressalien weg.
Und so stand das Winzerfest 1930 im Zeichen der wiedererlangten Autonomie der ehemaligen Besatzungszonen. Ganz in diesem Geiste hieß der kostenlos ausgeschenkte Federweißer "Befreiungswein".
„Das Winzerfest ist so gedacht, daß es Ausdruck des rheinischen Volkes sein soll. Der Zeit entsprechend soll das Fest ohne teueren Aufwand abgehalten werden. Erfreulicherweise haben sich viele Binger Bürger bereit erklärt, am Winzerzuge mitzuwirken.“
(Winzerfest in Bingen, RNZ 211030)
Nächster Entwicklungsschritt
Nach den erfolgreichen Veranstaltungen 1928 und 1929 gab es in diesem Jahr Stimmen, die eine Weiterentwicklung des kommerziellen Winzerfestes forderten, darunter Journalist Schmitt-Kramer. Er schickte an die beiden Binger Zeitungen, die Mittelrheinische Volkszeitung und die Rhein- und Nahe-Zeitung einen Leserbrief (MVZ am 21.10.1930, RNZ am 22.10.1930).
Sein Tenor: Das (kommerzielle) Winzerfest sollte "längst" eine "dauernde Einrichtung" und eine "Selbstverständlichkeit" sein. Der Winzerzug sollte dabei der "Haupt- und Kernpunkt" sein.
„In diesem Jahr ist es sicher zu spät, um noch etwas Großes durchzuführen, aber immerhin wird ja der für den kommenden Sonntag vorgesehene Weinwerbetag mit Umzug eine den Vorbereitungen nach sicher tadelloser Sache werden. Das braucht aber nichts daran zu ändern, daß man für kommende Jahre mehr und Größeres vorbereiten soll, damit Bingen eine über das Landläufige und Alltägliche hinausgehende Dauer-Veranstaltung bekommt, die eine entsprechend große Anziehungskraft auszuüben vermag. Daß wir es können, wenn wir wollen, ist sicher! Es muss nur begonnen werden.“
Gleichsam stellte Schmitt-Kraemer fest, dass die finanzielle Frage die größte Herausforderung sei, denn die Teilnehmer*innen müssten alles aus der eigenen Tasche zahlen. Dies war durchaus ein gewichtiger Punkt, denn - wie eingangs erwähnt - hatte die Weltwirtschaftskrise die wirtschaftliche Lage noch verschlimmert. Investitionen zu tätigen war ein großes Risiko und konnte schnell zum Bankrott und zu existenzieller privater Not führen.
1955 stellte er rückblickend fest:
„Man ging von dem Gedanken aus, daß der Winzerzug als Ausdruck der Winzer gelten soll, daß der Winzertag nicht als Fest im allgemeinen Sinne, sondern als Winzererntedankfest gelten sollte.“
(Quelle: Schmitt-Kraemer: Das erste Winzerfest in Bingen. Allgemeine Zeitung, 31. August 1955.)
Der Weinwerbetag 1930: Freiwein
In seiner Sitzung am 21. Oktober 1930 entschied der Verkehrsverein: Ja, auch 1930 sollte am letzten Sonntag im Oktober ein Weinwerbetag stattfinden: Ein Winzerfest mit verkaufsoffenem Sonntag.
"Die wirtschaftlich schlechte Zeit rief zur Sparsamkeit, aber Werbung tut not, und eine alte Wein- und Rheinstadt kann nicht nur von ihrem guten Ruf zehren.“, stellte der Binger Verkehrsverein nachträglich fest (Mittelrheinische Volkszeitung, 27.10.1930)
Das Programm rund um das Winzerfest am 26. Oktober ähnelte jenem der beiden vorherigen Jahre: Es gab ein Konzert auf dem Rathausplatz, kostenlosen Wein und schließlich einen Umzug, der zur Tanzveranstaltung in der Festhalle führte. Das Ende der Besatzung wurde freudig gefeiert. Um 12:30 Uhr hielt Bacchus persönlich Einzug in Bingen und gab den Freiwein aus. Abends wurde die Burg Klopp mit bengalischem Feuer illuminiert.
Und noch eine Feierlichkeit wurde damit verbunden. Das Heimatmuseum wurde im damaligen Badhaus neueröffnet. Das Badhaus stand etwas versetzt auf Höhe der Binger Festhalle (heute Palais Bingen) Richtung Bahngleise.
Das Programm
11:30 Uhr: Einzug des Bacchus mit "Freitrunk von 1930er Befreiungswein auf dem Marktplatz“
13:00 Uhr: Promenadenkonzert der Binger Feuerwehrkapelle
13:30 Uhr: Beginn Winzerzug mit 20 Gruppen und zwei Musikkapellen, der auch professionell gefilmt wurde.
Zugroute: Nahekai - Drususbrücke - Gaustraße - Schmittstraße - Hasengasse - Amtsstraße - Gerbhausstraße - Friedhof - Kirchstraße - Mainzer Straße - Espenschiedstraße - Vorstadt - Fruchtmarkt - Rathausstraße - Schmittstraße - Schloßbergstraße - Mariahilfstraße - Rochusstraße - Kapuzinerstraße - Marktplatz - Salzstraße - Binger Festhalle. Die Leitung des Zuges oblag Branddirektor Landvogt von der Binger Feuerwehr.
14:00 Uhr: Verkaufsoffener Sonntag (bis 18:00 Uhr)
Ab nachmittags in den Binger Gaststätten und Weinstuben und abends in Binger Festhalle Musik & Tanz
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