Napoleon-Denkmal auf dem Alten Friedhof

Wenn von der „Franzosenzeit“ die Rede ist, so beziehen das viele auf die Besatzungszeiten nach den beiden Weltkriegen. Doch der Begriff ist gut 100 Jahre älter. Er stammt aus der Zeit, als Bingen ab dem 9. Februar 1801 auch völkerrechtlich zu Frankreich gehörte, von dem es bereits seit 1793 besetzt war. Im Vertrag „Frieden von Lunéville“ trat das Heilige Römische Reich seine linksrheinischen Gebiete an Frankreich ab. Damit erreichte Frankreich das lang gehegte Ziel, den Rhein zur „natürlichen“ Staatsgrenze zu machen.

Bingen im französischen Département „Mont Tonnere“ (französischer Name für Donnersberg) war nun ein ebenso fester Bestandteil der „Grande Nation“ wie beispielsweise Marseille im Département „Bouches du Rhône“ am Mittelmeer. Die offizielle Sprache war französisch, in der jeglicher amtlicher Schriftverkehr stattzufinden hatte. Die Beschilderungen wurden französisiert. Bürgermeister und Beamte kamen aus dem französischen „Mutterland“. Auch galt nun der „Levée an masse“ (Massenaushebung/Jourdan-Gesetz), die französische Wehrpflicht, für unverheiratete und kinderlose Binger Männer zwischen 20 und 25 Jahren. Sie kämpften unter dem Oberbefehl des Konsuls und späteren Kaisers Napoleon I. Bonaparte in den zahlreichen Feldzügen seiner Herrschaft.

1842 setzten Überlebende ihren gefallenen Kameraden ein Denkmal aus gelbem Sandstein. Es steht noch heute auf dem alten Friedhof zwischen Holzhauser Straße und Rochusallee, der 1976 in einen Park umgewandelt wurde.

Die anderen  drei Seiten des Napoleon-DenkmalsDiese sogenannten „Napoleonsteine“ hatten keinen politischen Hintergrund, sondern waren ausschließlich Ausdruck eines gewissen Kriegsheros und der Napoleonverehrung jener Zeit, wie es der Historiker Hagen Schulze erforscht hat. Weiter formuliert er: „Als eigentlicher Träger der Napoleonverehrung treten die Vereine der Veteranen hervor, verbunden durch die gemeinsamen militärischen Erlebnisse, Siege und Niederlagen im französischen Heer und durch die völlig unbefragt fortdauernde Treue zu dem Kaiser, in dessen Zeichen sie gekämpft hatten. 

Der älteste dieser Vereine war der von Mainz, 1833 begründet, um ein Denkmal zu errichten, die Erinnerung zu pflegen, bedürftige ehemalige Soldaten zu unterstützen und die Verstorbenen ehrenvoll zu bestatten. Das Beispiel von Mainz wirkte beträchtlich.“ In diesem Geiste entstanden bis 1852 circa 25 solcher örtlichen Denkmäler von Köln bis Landau.

Doch wie kam es zu „Bingen dans le département du Mont Tonnere“?

Im sogenannten ersten Koalitionskrieg zwischen der Habsburgermonarchie, Preußen und einigen kleineren deutschen Staaten gegen Frankreich setzte das französische Revolutionsheer zur erfolgreichen Gegenoffensive an. Als Spanien, die Niederlande und Großbritannien der Koalition beitraten, war unser Gebiet bereits französisch besetzt. Am 23. Februar 1793 mussten die Bürger der Stadt Bingen den französischen Konstitutionseid leisten. Rund zwei Monate später, am 15. April 1793, wurde Bingen in heftigen Kämpfen zurückerobert und die Franzosen zogen sich zurück. Als die preußisch-österreichische Rivalität die Verteidigungskapazität der Koalition schwächte, nutzen sie die Chance und rückten Ende 1794 wieder bis zum Rhein vor.


1795 kam es noch einmal zu Kampfhandlungen zwischen österreichischen Truppen, die in Rüdesheim lagen und französischen Einheiten, die sich auf dem Rochusberg verschanzt hatten.
Dabei erhielt die (erste) Rochuskapelle einen Kanonentreffer in Dach und Turm. Der Rest der Mauern wurde von den französischen Truppen abgebrochen, um ein freieres Schussfeld zu haben. 1795 zogen sich Preußen, Spanien und einige deutsche Staaten im „Frieden von Basel“ aus dem Krieg zurück.

Der erfolgreiche Feldzug Napoleons in Norditalien zwang 1797 schließlich auch Österreich, den „Frieden von Campo Formio“ zu schließen. Im „Frieden von Lunéville“ erhielt Frankreich 1801
die linksrheinischen deutschen Provinzen, die heutigen Gebiete von Belgien und den Niederlanden, sowie einige Bereiche in Norditalien völkerrechtlich zugesprochen.

Die „Franzosenzeit“ endete für Bingen mit dem Jahreswechsel 1813/14. An Neujahr 1814 setzte der preußische Marschall Blücher bei Kaub über den Rhein und verfolgte die vom verlorenen Russlandfeldzug zurückkehrenden napoleonischen Truppen. Die französischen Beamten waren längst aus der Stadt geflohen und Bingen nicht mehr Bestandteil der französischen Nation. Napoleon I. musste abdanken und auf die Insel Elba ins Exil gehen.

Einen weiterführenden Link zum Thema Napoleonverehrung, in dem auch der Besuch von Kaiser Napoleon I. und seiner Frau Josephine am 19. September 1804 in Bingen beschrieben ist, findet ihr hier: Napoleonverehrung in Bingen

#ArchivDingsTag, 19. November 2024