Napoleonverehrung in Bingen
Die französische Revolution und Napoleon Bonaparte, die Jakobiner und die Mainzer Republik… das sind Themen, die in keinem Schulunterricht fehlen.
Dass die Mainzer Republik und damit alle freiheitlichen, demokratischen Rechte und Pflichten auch Bingen einschloss, wissen schon deutlich weniger. Und, dass Napoleon mit seiner Frau mehrfach Bingen besuchte, ist nicht vielen Bingern bekannt. Dabei war Napoleon I. sehr populär in Bingen und genoss eine große Verehrung.
Ein Fundstück: Napoleonverehrung in Bingen
Bei ihren Besuchen in Bingen waren Napoleon I. und seine Frau Josephine jeweils Gast im Hause der Binger Familie Gunst, dem Sponheimer Hof, dessen Lage heute unbekannt ist. Auch der russische Zar wurde einst im Hause Gunst beherbergt.
Nicht nur zu Lebzeiten, sondern auch noch 100 Jahre nach seinem Tod genoss Napoleon I. in Bingen eine große Verehrung, die von den hessischen Landesherren (Großherzogtum Hessen-Darmstadt) geduldet wurde.
Der unterstehende Text ist die Wiedergabe eines Schriftstücks des Stadtarchivs, gefunden in einer Schachtel unsortierter Unterlagen.
Der Autor: Dr. Johannes Kohl
Verfasst wurden die drei Blätter von Dr. Johannes Kohl (1888-1953), einem Mann, der nicht nur seit 1916 Lehrer für Latein, Griechisch und Geschichte am Binger SGG war, sondern noch weitere Lehraufträge ausübte. So lehrte er unter anderem ab 1946 als Dozent für Latein an der Uni Mainz. Als Landeshistoriker war er Autor und Herausgeber unzähliger Artikel und einiger Bücher der 1920er bis 1950er Jahre, die noch heute häufig als Quelle genutzt werden. Zudem engagierte er sich in der Zwischenkriegszeit ehrenamtlich als Kreisarchivar und begutachtete archäologische Funde für das Binger Heimatmuseum.
Der Text: Von Steinen und Bäumen für Napoleon
Johannes Kohl verfasste den Text vermutlich Ende der 1940er Jahre, denn am 9., 13. und 16. März 1948 erschien seine dreiteilige AZ-Serie „Kaiserbesuch in Bingen. Rheinfahrt von Josephine Bonaparte“. Auch wenn der Zeitungstext ist etwas länger formuliert ist, ist der Inhalt identisch zu dem Fundstück. Möglicherweise war dieses ein Skript für einen Vortrag oder auch eine nachträgliche Zusammenfassung für die eigenen Unterlagen.
Die drei Blätter gelangten wohl in den Besitz des Heimatforschers Rudolf Engelhardt und über dessen Nachlass an das Stadtarchiv Bingen.
Der Original-Text wurde eingescannt und kann hier als pdf-Datei heruntergeladen werden.
Johannes Kohl: Napoleonverehrung in Bingen [vermutlich 1948]
„Als im Jahre 1789 die französische Revolution ausbrach, wurde sie auch in den Rheinlanden von einem grossen Teil der Bevölkerung als Morgenrot der Freiheit mit Freuden begrüsst. Die Verkündigung der Volkssouveränität, die Abschaffung der Leibeigenschaft, der Zehnten und Fronden, überhaupt alle Privilegien[,] das waren Forderungen, die auch in den Herzen der Rheinländer Widerhall fanden. Insbesondere aber brachte die französische Herrschaft, die 1792 mit dem Einrücken der Revolutionstruppen begann, die Beseitigung der Vielstaaterei, die sich hier am Rhein mit ihren zahllosen kleinen und kleinsten Territorialherrschaften überaus nachteilig ausgewirkt hatte. In Frankreich war um die Wende des Jahrhunderts, um dieselbe Zeit, wo das linke Rheinufer im Frieden von Luneville (1801) endgültig an Frankreich abgetreten war, ein Mann emporgekommen, der durch seine eiserne, rastlose Energie zum Haupt Frankreichs geworden war und nun die Geschicke Europas lenkte und bestimmte, Napoleon Bonaparte. Als er ans Ruder kam, hatte die anarchische Epoche der französischen Revolution ein Ende. Napoleon, seit 1799 erster Consul und im Mai 1804 Kaiser der Franzosen geworden, sorgte für die neugewonnenen Rheindepartements in derselben Weise wie für das übrige Frankreich. Auch zeigte er sich wiederholt in den Rheinlanden, zum ersten Mal im September 1804.
Grosse Vorbereitungen wurden damals zum Empfang des Kaisers auch in Bingen getroffen. Die Strassen wurde hergerichtet, eine Ehrenpforte mit einer Huldigungsinschrift wurde erbaut, ein silberner Schlüssel wurde ihm überreicht. Während die Kaiserin Josephine bereits am 19. September 1804 abends zu Schiff in Bingen angekommen war und am nächsten Morgen unter lebhaften Kundgebungen der Bevölkerung nach Mainz weiterfuhr, traf Napoleon selber am 20. September nachmittags um ½ 1 Uhr von Koblenz unter Geläute aller Glocken zu Lande hier ein. Nach Umwechslung der Pferde fuhr er über Kreuznach nach Mainz weiter, wo ihm die deutschen Fürsten aus dem Süden und dem Westen als dem natürlichen Nachfolger Karls des Grossen zujubelten.
In der Verehrung, die Napoleon in Bingen zuteil wurde, erinnert noch heute ein Denkmal im Binger Wald. Es sind dies 6 alte gewaltige Fichten, in der Nähe des Jägerhauses im Kreise gestellt, ‚Napoleonsbäume‘ oder auch ‚Kaiserkranz‘ genannt. An ihnen war eine Tafel mit der Aufschrift angebracht: Kaiserkranz (gepflanzt 1804). Jedoch ist das Jahr der Pflanzung heute nicht mehr urkundlich feststellbar. Es besteht wohl die Möglichkeit, dass sie zur Erinnerung an den Besuch Napoleons und Josephines im Jahre 1804 angepflanzt worden sind; es kann aber auch sein, dass sie der Vermählung Napoleons mit Maria Louise von Oesterreich im Jahre 1810 ihren Ursprung verdanken. Letzteres macht Prof. Dr. Erckmann in seinem Werk über den Binger Wald wahrscheinlich, weile eine ähnliche Anlage bei dem Forsthaus Vorholz im Kreise Alzey, wie eine Inschrift ausdrücklich bezeugt, im Jahre der Vermählung Maria Louisens entstanden ist (1. April 1810).
Dass die Napoleonverehrung in den Rheinlanden seinen Sturz, ja seinen Tod überlebte, bezeugen nicht nur Gedichte von bekannten deutschen Dichtern wie Heinrich Heines ‚Die beiden Grenadiere‘ und des Freiherrn Josep Christian von Zedlitz ‚Die nächtliche Heerschau‘, sondern auch die Veteranendenkmäler auf unseren rheinischen Friedhöfen. Ein solches Denkmal befindet sich auch auf dem alten Friedhof in Bingen. Viele Veteranen, die unter Napoleons Fahnen gedient hatten, erinnerten sich auch späterhin noch der grossen Zeit. So verstehen wir es leicht, dass diese Veteranen, die vollständig unter französischen Verhältnissen aufgewachsen waren, ihren unter Napoleons Fahnen gefallenen Kameraden auch in Bingen ein schlichtes Denkmal errichteten. Unter dem Adler auf der Vorderseite des Denkmals stehen folgende Worte:
Den unter Napoleons Fahnen gefallenen Bingern weihen dieses Denkmal ihre heimgekehrten Kriegsgefährten im Jahre 1842. Errichtet unter der segensreichen Regierung Sr. Kgl. Hoheit Ludwigs II., Grossherzogs von Hessen und bei Rhein und unter der der [sic!] Leitung des Präsidenten der Veteranen Franz Jos. Herter.
Auf der linken Seite sind dann mit Namen, Dienstzeit, Dienstgrad, Regiment, Geburts- und Sterbedatum 5 Veteranen, auf der rechten Seite 9 und auf der Rückseite 10 Veteranen verzeichnet. Wohlgemerkt dies sind nicht die Namen der Gefallenen, sondern die ihrer heimgekehrten Kameraden, die den im Kampfe Gebliebenen dies Denkmal gesetzt haben. Der letzte dieser Veteranen[,] Friedrich Seibert Brodt[,] starb am 19. Dezember 1874 im Alter von 82 Jahren. Dies Denkmal ist nicht nur ein Beweis dafür, wie tief und nach[h]altig die Verehrung für Napoleon im Herzen seiner Veteranen verwurzelt war, sondern auch dafür, dass die Verehrung die Duldung selbst der regierenden Stellen fand und man von einem Hass gegen den ehemaligen Bezwinger Deutschlands weit entfernt war.
Nach dem ersten Weltkrieg fand am 20. Juli 1919 an diesem Denkmal im Beisein des Generals Mangin eine Gedenkfeier stat[t], bei der auch ein Nachfahr eines dieser Veteranen, Rechnungsrat Weingärtner, eine Ansprache hielt.“
Die Namen auf dem Denkmal