Das Binger Loch
Das Binger Loch
„Unterhalb Bingen zieht quer durch den Fluss eine Felsenwand (das Binger Loch genannt), die einst einen Wassersturz verursachte, gegenwärtig aber schon so abgespült ist, dass der Rhein nur 1 bis 1,5 Fuß [= ca. 30-45 cm] hoch darüber hinabgleitet.“
So erlebte und beschrieb der Geograph Karl Friedrich Vollrath Hoffmann Anfang der 1820er das Binger Loch im ersten Teil seiner „Umrisse zur Erd- und Staatenkunde vom Lande der Deutschen“. Es war die Zeit, als der Rheintourismus zu boomen begann.
Das Passieren des Riffs war in der Antike und im Mittelalter nur unter großer Gefahr möglich. Deswegen wurden Schiffe vor dem Binger Loch entladen, mit einem Seil vom Ufer aus durch das Binger Loch gezogen ("treideln") und danach wieder für die Weiterfahrt beladen. Sprengungen waren nicht möglich, denn in Europa war das Schießpulver noch unbekannt.
Im 17. Jahrhundert fand die erste Sprengung statt und eine 50 Schritt (etwa 47 Meter) breite Fahrrinne entstand. Diese war allerdings nicht sonderlich tief. Nur bei hohem Wasserstand war das Binger Loch relativ gefahrlos zu passieren. Anhand dieses alten Stiches aus dem 18. Jahrhundert von Christian Georg Schütz lässt sich erahnen, wie gefährlich die Engstelle war. Diese Engstelle ist ein Riff, dass sich größtenteils unsichtbar unter dem Rhein von einem Ufer zum anderen zieht. Durch diese Verengung des Rheins in einer Kurve und das Gefälle vor und hinter dem Riff, wird die Strömung des Rheins beschleunigt. So gab es an dem Riff nicht nur Stromschnellen, sondern auch kleine Wasserfälle.
Die Ausgabe vom 1. Juni 1813 des königlichen-bayerischen Intelligenzblattes beschreibt blumig auf Seite 357 das Binger Loch:
Bey dieser Rheinwarte ist unweit der Stadt, da wo sich die Nahe in den Rhein ergießt, das sogenannte Bingerloch, dieser merkwürdige Rheinfall, der vormals der Schifffahrt so hinderlich und gefahrvoll war, und noch jetzt denen, welche zum erstenmal zwischen ihm hinfahren, ein unwillkürliches Schaudern abnöthigt. Eine quer über dem Bette des Stroms verborgen liegende Felsenkette bildet nämlich in dieser Gegend einen schwer zu räumenden Damm, welcher den mächtigen Rhein, wenn er nicht gar zu groß ist, hier gewaltsam anschwillt, so daß seine schäumenden Fluthen mit einem fürchterlichen Geräusche über den Damm hinabstürzen, und sich über die scharfen Hervorragungen des felsigen Rheinbettes in mehreren kleinen Strudeln fortwälzen.
Ein Rheinreisender aus dem späten 16. Jahrhundert, Andreas Ryff, bezeichnete das Binger Loch gar als „Schlund“. Wahrscheinlich kannte er die Sage, dass alles, was das Binger Loch verschlingt, bei der Loreley wieder „ausgespuckt“ wird.
(Übrigens: Die Endung –lei bezeichnet immer ein Felsmassiv. Die Schreibweise variiert jedoch. Ein prominentes weiteres Beispiel neben Loreley ist Geierlay mit seiner berühmten Hängeseilbrücke.)
Eine kurze Chronologie
In den folgenden über 200 Jahren nach der ersten Sprengung wurde das Binger Loch mehr und mehr verbreitert:
- 1830-1832: Sprengung einer fast 7 Meter breiten Rinne
Nach dieser Sprengung konnten Schiffe vorsichtig auch bei normalem Wasserstand das Binger Loch passieren. Daran erinnert noch heute ein Denkmal zwischen Bingerbrück und Weiler (auf Weilerer Gemarkung), das vom preußischen König, dem damaligen Landesherrn links der Nahe (Rheinpreußen), errichtet wurde.
Online verfügbar ist die ausführliche Beschreibung, wie diese Verbreitung technisch ermöglicht wurde: Polytechnisches Central Blatt vom 9. Mai 1835.
Außerdem befindet sich im Stadtarchiv Bingen die im Central-Blatt angesprochene Veröffentlichung von F. van den Bergh: „Die Felsen-Sprengungen im Rhein bei Bingen zur Erweiterung des Thalweges im Binger-Loche. Erschienen in Koblenz im Verlag von Karl Bädecker, 1834.
- 1839-1841: Verbreiterung der Fahrrinne auf etwa 14 Meter
- In den 1850er nahm der Schiffsverkehr auf dem Rhein immer mehr zu. Nicht nur Handelsschiffe, denn auch der Rheintourismus boomte ungemein. Daher lohnten sich für das preußische Königreich weitere Sprengungen am Binger Loch.
- 1858-1860: Bau eines zweiten Fahrwassers auf der linken Rheinseite mit etwa 90 Meter Breite.
- 1867: Das zweite Fahrwasser wird durch ein 1 km langes Parallelwerk vom Hauptstrom abgetrennt. Diesen Teil nutzten zunächst nur die rheinabwärts (= nach Norden) fahrenden Schiffe. Das alte, 14 Meter breite Binger Loch wurde von den rheinaufwärts fahren Schiffen genutzt. Später wurde das zweite Fahrwasser für beide Richtungen genutzt, wie auf dieser Darstellung abgebildet.
- 1893-1894: Verbreiterung des alten Binger Lochs auf 30 Meter.
- 1920-1921: Verbreiterung des zweiten Fahrwassers auf 80 Meter. (In den 1990er Jahren wurde es geschlossen.)
- 1925-1932: Verringerung der Öffnung des zweiten Fahrwassers auf 60 Meter, das aber mehr Tiefe erhält (von 1,20 Meter auf 1,70 Meter).
- 1966-1974 Verbreiterung auf 120 Meter.
Auch im 20. Jahrhundert blieb das Binger Loch weiterhin gefährlich. Für eine sichere Passage sorgten damals die Schiffslotsen. Erst seit knapp 50 Jahren ist es so breit und relativ ungefährlich wie heute.
Die Binger Lotsen
Eng mit dem Binger Loch ist die Arbeit der Lotsen und der Signalanlage im Mäuseturm verbunden, deren Geschichte im Lotsenhaus im Park am Mäuseturm erzählt wird.
Bis in die 1970er Jahre gab es am Mäuseturm Signalstangen, die herausgehängt wurden und den Berg- und Talverkehr regelten. Bei Dunkelheit leuchteten sie auch. Zeitzeug*innen können sich noch gut daran erinnern.
Außerdem brachte ein Lotsenboot die Lotsen auf die Schiffe. Die Lotsen fuhren bis St. Goar und wurden dort wieder abgeholt und auf das nächste Schiff gebracht, das bergwärts fuhr.
Bingerloch oder Binger Loch?
Ja, die Schreibweise Bingerloch ist gar nicht so falsch, wie man denkt. Bis zum Ende des 19. Jahrhunderts wurde der Name vorwiegend in einem Wort geschrieben, wie die Ngrams von Google zeigen. (Ngrams werten die Wörter aus Google Books aus.) Dass sich das änderte, könnte an Duden liegen. Denn vor Konrad Dudens gleichnamiger Erfindung gab es keine derart verbreitete Norm. Es gab durchaus einen Konsens, aber keine definitiven Vorgaben.
Über genauere sprachhistorische Analysen wären wir sehr dankbar.
Der Vergleich zeigt, dass sich die Schreibweise Bingerloch in England noch über die Zeit des Rheinromantik-Hypes hinaus erhalten hat. Erst in jüngerer Zeit wurde die deutsche Schreibweise mehr und mehr übernommen.
Und heute?
Das Binger Loch hat heute seinen Schrecken verloren. Die vielen Fracht- und Ausflugsschiffe können heute die früher so gefährliche Stelle ohne große Gefahr passieren.
Übrigens
Im Binger Stadtarchiv befinden sich im Sammlungsbestand drei Schuber zum Binger Loch, dazu einige Dias und weiterführende Literatur. Alles zur Archivnutzung finden Sie auf der Seite Service.