WIE und WANN kam der Fußball nach Bingen?
Es waren tatsächlich die Engländer höchstpersönlich, die den Fußball nach Bingen brachten. Übrigens viele Jahre bevor sich 1910 der Binger Fußball-Verein BFV (Vorgängerverein Hassia Bingen) gründete.
Gesichert wissen wir von einem Match am 18. November 1893 zwischen dem „Wiesbaden Athletic- and Football Club“ und dem „Victoria College Football Club, Bingen“. In einem Artikel in der damaligen Sportzeitschrift „Spiel und Sport“ ist zu lesen.
Der Grund liegt in der großen Beliebtheit von Bingen bei den Engländern in der Zeit von den 1820er Jahren bis 1914 (Beginn 1. Weltkrieg). In jenen Jahrzehnten lebte nicht nur eine beachtliche Zahl von englischen Langzeiturlaubern in Bingen und die Briten bildeten auch den größten Anteil touristischer Gäste, sondern es gab mit dem „Victoria College“ ein englisches Internat Binger Internat für britische Jungs in der Mainzer Straße, auf das gut betuchte Briten ihre Söhne zu einem Auslandsaufenthalt schickten. Gegründet wurde das Internat von dem Neuwieder Alfred Mess, der bevorzugt in nordenglischen Zeitungen um Schüler für sein College warb.
Alfred Mess, 1843 in Neuwied als Sohn eines Pfarrers der Herrnhuter Brüdergemeine (evangelische Freikirche) geboren, hatte Theologie studiert, lebte einige Zeit in England und war zu einem Befürworter des „Muscular Christianity“, der auch der YMCA nahesteht, geworden. Diese Bewegung, die körperliche Fitness mit christlichen Werten verbindet, prägte seine Vision einer Schule in Deutschland nach der lateinischen Redewendung „… orandum est ut sit mens sana in corpore sano ..“ was mit „solltest du um einen gesunden Geist in einem gesunden Körper beten“ zu übersetzen ist, in Deutschland aber allgemein in der Formulierung „ein gesunder Geist in einem gesunden Körper“ bekannt ist. In diesem Sinne war Sport zu treiben eine Art spirituelle Handlung.
Der Fußball bildete in Bingen weitere von Internationalität geprägte Wurzeln. 1898, bereits ein Jahr nach der Gründung des Binger Technikums (1897, heute TH Bingen), gab es dort die Mannschaft „International Bingen“, wie in der Hassia-Festschrift von 1950 zu lesen ist mit dem Hinweis, dass dort „sogar ein Deutscher spielte“. Der Name „International“ impliziert, dass die Spieler unterschiedliche Nationalitäten hatten.
Das Victoria College schloss übrigens spätestens 1902 bereits wieder seine Pforten. Das von Mess 1885 errichtete Gebäude in der Mainzer Straße wurde an Hermann Hoepke, den Rektor des Technikums Bingen, verkauft und als Wohnhaus für Dozenten und Studenten genutzt. 1919 kam es in den Besitz von Joh. Bapt. Weinand aus Cöln. In den 1930er Jahren wurde es von der Bahn gekauft und in den 1970er Jahren abgerissen, um ein Parkhaus für die Berufsbildende Schule (BBS) zu schaffen.
Wie lange vor jenem ersten nachzulesenden Spiel in 1893 bereits Fußball in Bingen gespielt wurde ist nicht belegt. Es ist aber durchaus wahrscheinlich, dass englische Langzeiturlauber und Händler bereits vorher auf größeren unbebauten Binger Flächen Fußball und auch andere Sportarten wie Rugby und Cricket gespielt haben. Das Victoria-College in Bingen ist längst Geschichte – der Fußball ist geblieben.
ArchivDingsTag, 18. Juni 2024