Vor 600 Jahren stand Bingen Kopf: Der Binger Kurverein wurde gegründet

Viele Fahrende, Händler und Schaustellende, hatten sich in unserer Stadt eingefunden, die sich ein gutes Geschäft erhofften. Überall herrschte geschäftiges Treiben, galt es doch, für die vielen hohen Herren zu sorgen, die mit Gefolge und Tross als Geleitschutz in der Stadt weilten. Und gar mancher der lokalen Honoratioren hatte sich vielleicht insgeheim in Umgangsformen geübt, um eine möglichst gute Figur abzugeben. Schließlich gehörten zu solchen Treffen auch allerlei Festlichkeiten mit höfischem Zeremoniell.

Bingen mit dem alten Schloss Klopp, wie der damalige Bau hieß, vor der Zerstörung. Auf dem Rochusberg erkennt man die erste Rochuskapelle (1666-1795).Dass sich der Mainzer Erzbischof, der auch gleichzeitig einer der deutschen Kurfürsten war, in Bingen aufhielt, war nicht so ungewöhnlich. Doch nun hatten sich gleich sechs der damals sieben amtierenden deutschen Kurfürsten eingefunden. Das war etwas Außergewöhnliches.   

Alle Kurfürsten waren schließlich regierende weltliche bzw. geistliche Landesherren des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation und reisten mit Gefolge und Schutzgeleit. Entsprechend voll war es innerhalb der Stadtmauern. Mit dem Rang des Reichserzkanzlers und „prima sedes“ (erster Sitz) hatte der Mainzer Kurfürst eine hervorgehobene Stellung inne.

Offizieller Grund des Treffens war der Aufstand der Hussiten in Böhmen. Aber tatsächlich ging es auch um die Unzufriedenheit, wie König (und späterer Kaiser) Sigismund mit der Situation umging, sowie die Wahrung der eigenen Interessen und Machtstellung.

Nach intensiven Beratungen wurde am 17. Januar 1424 der „Binger Kurverein“ gegründet. Die Gründungsurkunde beinhaltet 10 Punkte mit Absprachen und gegenseitigen Verpflichtungen. Sie  beginnt mit dem einführenden Text „Von Gotes gnaden wir Dietherich zu Colne, Cunrad zu Menze und Otto zu Triere, erzbischove des heiligen Romischen riches, in Duthschen und Welschen landen, durch das kongriche zu Arelat und in Italien erzkanzelere, […]“.

So beschloss man unter anderem, dass man die Bekämpfung der Hussiten selbst angehen, Streitigkeiten untereinander friedlich regeln und bei Dingen des Reichsinteresses eine gemeinsame Linie einnehmen wolle.   

Das Wort "Kur" stammt übrigens von "kuri" bzw. „kure“, was Prüfung, Erwägung, Stimmrecht und Wahl bedeutet und noch heute im Wort „küren“ erkennbar ist. Nicht zu verwechseln mit der gleichklingenden Ableitung aus dem lateinischen „cura“ und seiner Bedeutung Heilung, Pflege und Behandlung. Die Kurfürsten hatten seit dem 13. Jh. das in der Goldenen Bulle niedergeschriebene alleinige Privileg, den deutschen König zu wählen. Es endete 1806 mit dem Auflösung des Heiligen römischen Reiches.

Der Treffpunkt Bingen war sicher mit Bedacht gewählt, denn unsere Stadt war mit ihren wichtigen Überlandwegen von Mainz nach Trier und entlang des Rheins, schon immer ein bedeutender Knotenpunkt. Und eine Reise per Schiff war in der Regel um einiges bequemer als in einer Kutsche.