Der Speisemarkt vor 100 Jahren

Ein hundert Jahre altes Foto mit Blick auf die Häuser an der südöstlichen Ecke des Speisemarktes ist relativ selten. Es zeigt Kommunionkinder in einer Fronleichnamsprozession. Gut zu erkennen an den weißen Kleidern der Mädchen, von denen jedes einen Blumenstrauß in der Hand hält. Sie gehen dem „Himmel‘“ vorweg. Ein Stoffbaldachin, der von ausgewählten Männern getragen wird und den Priester mit der Monstranz beschirmt.

Fronleichnam-Prozession durch die Binger Innenstadt in den 1920er Jahren, hier am Speisemarkt (Heine & Schott)Zeitlich kann man das Foto aufgrund des Kleiderstils in die 1920er Jahre einordnen. Auf jeden Fall ist es vor 1934 entstanden, denn am Haus rechts ist der Schriftzug Heine & Schott zu erkennen. Heinrich Heine und der jüdische Sally (Salomon) Schott gründeten ihr Unternehmen am 15. Februar 1892. Damals im heutigen Haus von Lederwaren Hagemann in der Schmittstraße. Es war das erste Geschäft in Bingen, das sich speziell der Herrenkonfektion „im großen Stil“ widmete. Schott führte die Konfektion, Heine die Maßschneiderei.

Nach einer Verlegung des Geschäfts in die Schmittstraße 8 folgte 1907 der Umzug an den Speisemarkt 11 (zuletzt Gerry Weber). „Hier entstand ein Riesenlager, das jedem großstädtischen Betrieb der gleichen Art in seiner Auswahl gleichkommt“, heißt es in einem Zeitungsartikel zum 60jährigen Jubiläum 1952. Unter dem Druck der Naziherrschaft musste Sally Schott 1934 seine Anteile an Otto Heine verkaufen, der Name Schott wurde ausgelöscht. Sally Schott starb vier Jahre später in der Schweiz. Das Herrenmodehaus Otto Heine bestand bis in die 1970er Jahre.

Im linken Haus boten die Gebr. Sinn ihre Konfektionsmode an (heute u.a. Fielmann). Hier an der Südseite des Speisemarkts hab es die Damenmode und gegenüber im Eckhaus Speisemarkt/Salzstraße die Herrenkonfektion. Die Modehäuser gehörten zu den Niederlassungen der rheinischen Firma Gebr. Sinn, die 1894 gestartet waren, 1997 durch eine Fusion zu Sinn-Leffers wurde und nach einigen Turbulenzen seit 2017 als SINN GmbH firmiert.

Das Gebäude mit dem Herrengeschäft an der Ecke Salzstraße wurde 1986 Teil des Neubaus des Modehauses Pool (heute Kaffee-Feinkost Martin). Das abgebildete Damenmode-Haus wurde durch einen Zweckbau mit grünem Mosaikband ersetzt. Vielleicht kann jemand kommentieren, bis wann es Sinn Damenmode in Bingen gab.

ArchivDingsTag vom 4. Juni 2024