Das prächtige Stadtpalais am Speisemarkt im Wandel der Zeiten

Der Speisemarkt wird von einem prächtigen kleinen Stadtpalais an der Westseite des Platzes geprägt für das sich in den letzten Jahren die Bezeichnung „Palais Puricelli“ eingebürgert hat. Wer mit seiner Geschichte nicht vertraut ist, kann beim heutigen Anblick den Eindruck gewinnen, das Haus sei einst genauso erbaut worden. In Wirklichkeit hat der spätbarocke Putzbau mit dem Fassadendekor im Zopfstil und den vielen Fenstern eine wechselvolle Geschichte. Das Erdgeschoss wurde je nach Nutzung des Eigentümers mehrfach umgebaut und auch der Vorbau wurde erst nachträglich angefügt.

Das "Palais Puricelli" um 1870 mit DrusselbrunnenDie Bauakten jener Zeit gelten als verloren. Als Bauherr des vermutlich in der ersten Hälfte der 1770er Jahre errichteten Hauses gilt die Familie Manera, die aus der Region des Comer Sees stammte und ab 1711 in den Binger Bürgerlisten geführt wird. 1862 gehört das Haus der Witwe Heinrich Adam Pennrich. Nächster Eigentümer ist die Familie Meyer, eine durch Weinbau und Weinhandel wohlhabende geworden jüdische Familie.

Das "Palais Puricelli" um 1910.Friedrich Joseph Meyer ist der Großvater mütterlicherseits von Ida Dehmel geb. Coblenz (1870-1942). Sie schreibt in ihren Aufzeichnungen „Das schönste aller Familienhäuser stand oben am Marktplatze […] Früher hat ein (Anmerkung: wahrscheinlich französischer) General dort gewohnt und das Haus hat einen Vorbau bekommen, damit die Wachsoldaten dort sitzen konnten […] heute ist es eine Polizeiwache […] Der Essaal im Großmutterhaus hatte sonderbare Fenster, lauter kleine längliche grünliche Scheiben in Blei gefaßt, und überall waren mit altmodischen Schnörkeln Namen und Wappen eingeritzt. Großmutter konnte lange Geschichten über die Namen erzählen […]“.

Das "Palais Puricelli" im 20. Jahrhundert als "Haus Zimmer".1906 erwirbt es der 82jährige Carl (III.) Puricelli, der es als Geschäftshaus umbauen und unter anderem den mittleren Bereich des Hauses nach vorne ziehen lässt. Er vererbt es an Olga Kirsch-Puricelli. Ihr Sohn Baron Dr. Paul Kirsch-Puricelli veräußert es 1976 an die Familie Zimmer, die es bereits seit 50 Jahren für den „Eisenwarenhandel Friedrich Zimmer“ gemietet hatte. Seit dem Anfang der 1990er Jahre wird das Gebäude gastronomisch genutzt.

Von dem ursprünglichen Bau ist keine Abbildung im Bestand. Erahnen kann man die ursprüngliche Struktur auf dem Foto 1 (um 1870) mit Fenstern im Erdgeschoss und einem Hauseingang auf der linken Seite des Vorbaus. Zu erkennen sind am Vorbau auch noch Wölbungen, wo rechts und links Schilderhäuser für die Soldaten angefügt waren. Zu Zeiten der städtischen Wache war dieser durch eine Mauer vom Hauptgebäude getrennt. Auf der rechten Erdgeschoss-Seite ist ein großer Torbogen zu erkennen. Möglicherweise waren dort ursprünglich die Kutschen die Zugpferde untergebracht. Zu Zeiten der Familie Meyer befand sich dahinter das Kelterhaus der Weinfirma.

Das 2. Foto (wahrscheinlich um 1910) zeigt die Veränderungen an Fenstern und Eingang zum Bekleidungshaus der Gebrüder Bastian. Der Torbogen wurde entfernt und durch Fenster ersetzt. Über dem Eingang zum Vorbau befindet sich ein Schild „Friseur“.

Das 3. Foto zeigt das Haus zu Zeiten der Familie Zimmer, in der es überwiegend als „Haus Zimmer“ bezeichnet wurde. Die erkerartigen Vorsprünge sind nicht mehr vorhanden und die Fensterlaibungen wurden zu für größere Einheiten durchbrochen. Auch auf der rechten Seite wurde ein großes Schaufenster eingesetzt.