Fest gebaut auf historischen Mauern. Das „Haus des Handwerks“

Haus Amtsstraße 1, vermutlich frühes 20. Jahrhundert.Außerhalb der üblichen Touristenwege liegt in der Amtsstraße 1 ein sehr interessantes Haus. 1899 hatte dort ein Carl Adam eine Gaststätte, deren Namen nicht überliefert ist. In der Gaststättenliste von 1928 wird bereits das „Gasthaus am Mäuseturm“ mit dem Inhaber J. Ebelmann aufgeführt. Weitere erklärende Aufzeichnungen aus dieser Zeit finden sich nicht, doch das Gebäude selbst erzählte einiges aus alten Zeiten, als 1968 der Umbau zum „Haus des Handwerks“, auch Kreishandwerkerhaus genannt, erfolgte.

Bei Arbeiten im Keller wurden nicht nur ca. 150 Jahre alte Teile eines Skeletts gefunden, sondern auch alte Münzen, alte Glasstücke, ein Beil und alte Pflastersteine, sowie ein Brunnen im Durchmesser von 90 Zentimetern, dessen Tiefe aber nicht ermittelt wurden. Ebenso der Teil eines Laufgangs mit einer Höhe von 1,60 bis 1,80 Metern, wie er zu anderen Zeiten zum Beispiel auch in der auch in der Laurenzigasse bis zur Kapuzinerkirche entdeckt wurde.

Die Bauarbeiten zeigten auch, dass das frühere Straßenniveau ca. 2,00 bis 2,50 Metern unter der jetzigen Straßenhöhe lag und der Bereich aufgeschüttet wurde. Der heutige Keller lag also einmal oberhalb der Straße.

Gasthaus „Zum Mäuseturm“, ca. 1930.Das Haus steht auf Mauern mit einer Breite von 1,40 bis 1,60 Metern, die einmal Teil der Stadtmauer waren und einem weiteren Rest einer Mauer, die 2 Meter vor der Stadtmauer am Rheinufer ihre Position hatte. Heimathistoriker Rudolf Engelhardt notierte damals, dass diese mannshohe vorgelagerte Mauer offenbar als Hochwasserschutz diente.

Da der Rhein bis zu den Uferaufschüttungen im 19. Jahrhundert ein viel breiteres Bett in Bingen hatte, wurde zumindest die westliche Uferzone bei Hochwasser überflutet und stand an der Stadtmauer, die auf der Linie der heutigen Laurenzigasse/Rheinstraße stand. Die Funktion als Hochwasser-Schutzmauer vor den Stadtmauertoren zum Rhein erscheint plausibel, damit man diese bei hohem Pegel passieren konnte und beim Öffnen kein Wasser in die Stadt floss. Gut erkennbar ist sie im Kupferstich von Daniel Meisner aus den 1620er Jahren.

Gasthaus „Zum Mäuseturm“, ca. 1950er JahreNach einer neunmonatigen Umbauphase erfolgte am 14. Dezember 1968 die feierliche Einweihung als „Haus des Handwerks“ und Geschäftsstelle von 16 Innungen der Handwerkskammer. Neben den Büroräumen bot es auch ein Schulungs- und Besprechungszimmer, sowie Platz für das Innungs-Archiv. Berichtet wurde von einem sehr gelungen Umbau und einer ansprechenden Innengestaltung, die dringend notwendig geworden war.

Nach Kriegsende hatte die Handwerkskammer bis 1947 Zuflucht in der Mainzer Volksbank gefunden, war dann von 1947 bis 1952 in der Rathausstraße 2 untergebracht und danach, bis zum Kauf des Objektes in 1963, Mieter in der Amtsstraße 1. 1968 wurde dann der neunmonatige Umbau durchgeführt. 

Dreizehn Jahre später, am 26. September 1981, legten neun Mitglieder der Maler-Innung selbst Hand an „… und rückten mit Farbe und Pinsel dem Grauschleier der Fassade zu Leibe und ließen diese wieder in freundlichen Farben erstrahlen“ wie die Allgemeine Zeitung seinerzeit berichtete.

Vielleicht kann ein Zeitzeuge kommentieren, ob damals auch die Schildtafeln der Innungen angebracht wurden, die heute die Fassade zur Amtsstraße zieren.

Haus des Handwerks, Juli 2023