Fußball in Bingen. Wie es begann.

Fußball in Bingen. Wie es begann.

Die neue Fußballsaison hat begonnen. Auch in Bingen. 1910 gründete sich der Binger FV, der 1925 mit der Hassia Kempten unter dem Namen Hassia Bingen fusionierte. Begann also damals mit dem Binger FV die Fußballära in Bingen?

Die Spurensuche führt uns in das Jahr 1893 und zum Victoria College in der Mainzer Straße.

Das Victoria College in der Mainzer Straße

Ausschnitt einer Postkarte mit dem Victoria College BingenFast zwanzig Jahre vor der Gründung des Binger FV gab es in der Mainzer Straße eine englische Schule, das Victoria College – benannt nach der damals regierenden englischen Königin. Leiter dieses Lehr-Instituts war ein Deutscher namens Alfred Meß, die Schüler allerdings waren vorwiegend oder ausschließlich britisch. Unter den Schülern war auch Charles Edward Squire (1874-1961), der seine Schulzeit an der Gateshead School in Newcastle und am Victoria College in Bingen verbrachte.

Ob die Schüler das in England höchstbeliebte Spiel mit nach Bingen brachten oder ob es der Lehrer H. Arnold Jutzi war, der 1892 einen Deutschkurs am Harris Institute in Preston (eine der größten Fußballhochburgen dieser Zeit) abhielt, ließ sich bislang nicht feststellen.

Innenansicht der rheinland-pfälzischen Luftschutzschule in den 1950er Jahren. Sah es im Victoria College ähnlich aus? Wir wissen es nicht.Ein Spiel einer Fußballmannschaft des Victoria College gegen ein Wiesbadener Team im Jahr 1893 ist die älteste bisher bekannte Erwähnung für ein Fußballspiel einer Binger Mannschaft.

Das Victoria College existierte allerdings nur 19 Jahre. 1904, wurde das Gebäude an den Leiter des Binger Technikums (heute TH Bingen), Hermann Hoepke, verkauft. Es wurde 1885 als Wohn- und Institutsgebäude erbaut – so steht es im alten Brandkataster, das sich im Binger Stadtarchiv befindet: Ein dreistöckiges Wohn- und Institutsgebäude mit Souterrain, zwei Erkern und zwei Treppenhäusern.

Vom College zum Wohnheim zum NS-Gebäude zur Schule für Luftschutz

Das Binger Luftschutzhaus, 1942Hermann Hoepke und seinen Nachkommen gehörte das Gebäude bis 1956. Zunächst richtete Hoepke dort ein Wohnheim für Studenten des Rheinischen Technikums ein, in dem auch Dozenten Unterkunft fanden. 1919, nach dem ersten Weltkrieg und zu Beginn der Besatzungszeit, wurde es an Johann Baptist Weinand aus Köln vermietet und während der NS-Zeit an die NSDAP, die hier ein Luftschutzhaus errichtete. Auch nach dem zweiten Weltkrieg blieb es erst einmal militärischen Zwecken vorbehalten, denn während der erneuten Besatzungszeit, mietete die französische Flotille du Rhin das Gebäude, bevor 1956 das Land Rheinland-Pfalz das Gebäude kaufte. Zu jener Zeit wusste man noch von der früheren Verwendung, denn im Volksmund hieß das Gebäude immer noch Viktoria Kolleg – die eingedeutschte Version des ursprünglichen Namens.

Die rheinland-pfälzische Luftschutzschule, 1950er JahreDanach diente das Gebäude als rheinland-pfälzische Luftschutzschule bis zu seinem Abriss, um dem Neubau der Berufsbildenden Schule (BBS Bingen) zu weichen, die 1963/64 dort installiert wurde.

Wie kam das Fußballspiel nach Deutschland

Im letzten Viertel des 19. Jahrhunderts kamen die in England beliebten Sportarten wie Cricket und beide Fußballvarianten, Rugby und Fußball, nach Deutschland. Die in Deutschland lebenden Engländer und englische Langzeittouristen wollten nicht auf ihre liebgewonnenen Sportarten verzichten, zumal diese auch die Kontaktaufnahme zu anderen Engländern der Region Umgebung sehr erleichterte.

Deutsche, die in Kontakt zu Engländern standen – beispielsweise Ärzte, Sprachlehrer, Uniprofessoren oder Journalisten – fanden Gefallen an der neuen englischen Sportart und adaptierten ihn. Vor allem in den so genannten Engländerkolonien der Residenzstädte wie Hannover, Braunschweig, oder Dresden, aber auch in Universitätsstädten wie Heidelberg oder Göttingen.

In den beliebten Kurorten des 19 Jahrhunderts, in Wiesbaden, Baden-Baden oder Cannstatt zum Beispiel, sowie in Handelsstädten Frankfurt, Berlin, Hamburg oder Leipzig lebten Engländer oder waren häufige Langzeittouristen und praktizierten dort ihre Sportarten.

Auch in Bingen waren wegen der Rheinromantik, dem Weinhandel und der guten Verkehrsanbindung einige Engländer*innen und sorgten für ein zunehmendes Interesse des Fußballsports am Rhein-Nahe-Eck. Dies drückte sich u.a. durch die Gründung des Victoria Colleges aus.

Am Anfang des 20. Jahrhunderts war Fußball bei weitem noch kein Massenphänomen, aber es wurde zunehmend populärer. 1900 hatten einige junge Männer bereits den Deutschen Fußball-Bund gegründet, ein Jahr später wurde in Mainz mit der Hassia Mainz der Vorläufer-Club des 1. FSV Mainz 05 ins Leben gerufen und sechs Jahre später der Hassia Bingen Vorläufer Binger FV.

Der Binger Fußball um 1900

Vor dem Binger FV gab es in Bingen weitere Fußballclubs. Die Cheruskia und Teutonia zeigten durch ihre Namensgebung, dass sie der national-patriotische Richtung verbunden waren, der sich auch die Gründer des DFB verschrieben hatten. Dagegen wies der 1898 gegründete 1. FC International Bingen bereits in seiner Namensgebung auf sein Verständnis des Fußballs als kosmopolitische Sportart hin. Ganz im Sinne eines Walther Bensemanns, der zu dieser Zeit als 25jähriger dem FC Bayern München oder dem Vorgängerclub von Eintracht Frankfurt zur Gründung verhalf.

In diesem Zusammenhang sei noch erwähnt, dass bis um die Jahrhundertwende in Deutschland der englische Begriff football sowohl für Fußball, als auch für Rugby benutzt wurde.

Übrigens

Über die Binger Sportgeschichte gibt es im Archiv einiges zu entdecken. Hassia Bingen ist recht gut dokumentiert, aber auch zu anderen Turnvereinen und Sportclubs gibt es einiges zu entdecken. Am hilfreichsten ist die umfangreiche Zeitungssammlung. Lust aufs Recherchieren? Einfach melden hier gibt’s alle Infos.