Prizren
In Bingen hingegen kennt man diese Stadt schon seit einigen Jahrzehnten, genauer gesagt seit Beginn der 60er Jahre, als ein Binger Weinhandelsunternehmen das wichtigste Produkt der Stadt, den Wein des Amselfeldes, entdeckte und begann, ihn zu vermarkten. Aus geschäftlichen Beziehungen entstanden menschliche Verbindungen und im Jahre 1968 wurde dann die bisher einzige Städtepartnerschaft einer deutschen Stadt mit einer Stadt im Kosovo offiziell proklamiert.
Portrait von Prizren
Am nordwestlichen Ende einer Felsenschlucht liegt die Stadt Prizren harmonisch an beiden Seiten des Flusses Bistirca. Im Südosten der Stadt erheben sich die Hänge der Sara-Berge mit den alles beherrschenden Ruinen der Festung Kaljaja. Mit ihren ein- oder zweigeschossigen Gebäuden bildet Prizren ein relativ homogenes Bild, und die vielen Minarette, "Turben" (Mausoleen), Brunnen, von hohen Mauern umgebene flache Häuser sowie enge und kurvige Straßenzüge geben ihr ein orientalisches Erscheinungsbild.
Seit dem Altertum unter dem Namen Theranda bekannt, entwickelte sich die Stadt entlang einer durch den Balkan verlaufenden Handelsstraße. Während der byzantinischen Ära wurde die Stadt Prisdriana genannt. Im 13. Jahrhundert wurde sie dem Königreich von Stefan Prvovencani zugeschlagen und war gleichzeitig freie Handelsstadt, Hauptstadt, Bischofssitz und die Geburtsstätte von Kunst und Kultur, die von zwei gut ausgebauten Festungen gesichert wurde.
Am Ende des 14. Jahrhunderts verursachten Konflikte und politische Spaltungen ihren Niedergang. Ab 1455 stand die Stadt unter osmanischer Verwaltung.
Im 16. Jahrhundert blühte die Stadt mit der Errichtung der heute auch noch sehenswerten osmanischen Denkmäler wie z.B. der Gazi-Mehmet-Pasha-Moschee, dem Gazi-Mehmet-Pasha-Hamam (Türkisches Bad) und der Sinan-Pasha-Moschee wieder auf.
Im frühen 20. Jahrhundert, besonders in den späten zwanziger und dreißiger Jahren, erlebte die Stadt eine intensive Renovierungsphase innerhalb ihrer Geschäftsviertel. Der jüngste Krieg hat die Stadt weitgehend verschont, und die in der Folge vielfachen Brandstiftungen bevorzugt nicht albanischer Anwesen haben den Reiz und den Charme des Stadtbildes nicht zerstört.
Entwicklung der Städtepartnerschaft
Trotz unterschiedlicher Kulturen und der großen räumlichen Distanz zwischen beiden Städten Prizren und Bingen (rund 1800 km) entwickelte sich nach der Unterzeichnung der Partnerschaftsurkunde am 22. Mai 1968 eine sehr lebendige Partnerschaft. Zwanzig Jahre gab es einen regen Austausch zwischen Schülern, Bürgern, Gruppen und Vereinen, der geprägt war von Freundschaftlichkeit und Herzlichkeit. Jäh unterbrochen wurde dieser Kontakt 1989, als, von der Provinz Kosovo ausgehend, das Unheil auf dem Balkan seinen Anfang nahm. Nach dem Entzug der Autonomie für die Provinz Kosovo und der Auflösung des Parlaments in Pristina kam es zu den ersten gewalttätigen Demonstrationen. Parallel zur Eskalation der Gewalt gegen die albanische Bevölkerungsmehrheit im Kosovo wuchs bei den Bürgerinnen und Bürgern in Bingen die Sorge um die Menschen in Prizren. So hat die Stadt Bingen in einer Vielzahl von Aktionen und Schreiben auf die besondere Situation im Kosovo und die Bedeutung der Lösung der Kosovo–Frage im Zusammenhang mit einer dauerhaften Friedenslösung auf dem Balkan hingewiesen.
Freunde in der Not / Konkrete Hilfe für die Partnerstadt
Als der Wunsch nach einer gewaltfreien Lösung von der Realität eingeholt war, fasste der Rat der Stadt Bingen im festen Glauben und der Hoffnung, dass der Krieg schnell beendet sein würde, eine Entschließung und machte damit den Weg frei, Vorbereitungen zu treffen für den Moment, wenn Frieden den Wiederaufbau von Prizren erlauben würde. Dies geschah auch in dem Bewusstsein, dass zum Zeitpunkt des Krieges und der Vertreibung nur die großen, weltweit organisierten Hilfsorganisationen logistisch in der Lage waren, Hilfsmaßnahmen durchzuführen. In überwältigender Art und Weise zeigten viele Menschen in Bingen, dass sie nicht nur Anteil nehmen und Betroffenheit zeigen, sondern durch aktives Handeln den Menschen dort helfen wollen. Sie ließen sich nicht lange bitten und waren schnell bereit, ihre Herzen, Hände, aber auch ihre Portemonnaies zu öffnen und das Wort "Partnerschaft" mit Leben zu erfüllen. Der Spendenaufruf erlebt bis heute einen nicht für möglich gehaltene Resonanz. Der Wille, für die Partnerstadt etwas zu tun, ist sehr ausgeprägt: Einzelpersonen, Familien, Firmen, Betriebe, Verbände, Vereine, Schulen und Kindergärten trugen dazu bei, dass die Summe der Barspenden bis heute auf über 640.000,-- DM angewachsen ist. Der Wert der Sachspenden, vom Feuerwehrauto über Krankenbetten bis hin zu Winterbekleidung, beläuft sich mittlerweile auf über 1 Million DM. Bei den von Bingen ausgehenden Hilfsmaßnahmen waren und sind die Angehörigen der Bundeswehr eine unersetzliche Stütze. So war und ist gewährleistet, dass die Spenden dort ankamen, wo tatsächlich notwendigster Bedarf bestand und weiterhin besteht.
Oberbürgermeisterin Collin-Langen hat eine besondere Beziehung zu den Menschen in Prizren und kümmert sich persönlich um die Hilfsprojekte. Noch während des Krieges im Mai 1999 war sie es, die mit Unterstützung der Deutschen Botschaft in Tirana gezielt vertriebene Kosovo-Albaner aus Prizren in den Flüchtlingslagern in Albanien besuchte. Sie gaben ihr damals mit auf den Weg: "Vergessen Sie die Menschen in Ihrer Partnerstadt nicht und helfen Sie bei einem Wiederaufbau unserer Partnerstadt Prizren". So macht sich die Oberbürgermeisterin immer wieder durch Besuche in Prizren ein Bild vom Ausmaß der Versorgungssituation vor Ort. Gezielt wurden und werden Möglichkeiten ausgelotet und Projekte ausgewählt, um die Infrastruktur in der Partnerstadt wieder aufzubauen (s. nachfolgende Projektübersicht).
Schritte des Wiederaufbaus der Partnerschaft
Im Mai 2000 war dann erstmals, wieder angeführt von Frau Oberbürgermeisterin Collin-Langen, eine größere Delegation mit Vertretern des Rates der Stadt Bingen, den Binger Weinmajestäten, Schülern und Lehrern der Rochus-Realschule und Erzieherinnen des städtischen Kinderhorts zu einem Partnerschaftsbesuch in Prizren.
"Wir haben gelernt, Deutschland und den Wohlstand zu schätzen. Wir haben erlebt, was Gastfreundschaft wirklich bedeutet", fassten drei Schülerinnen der Rochus-Realschule ihre Eindrücke der Reise nach Prizren zusammen. Sie erlebten – genau wie die weiteren Mitglieder der Delegation – eine warmherzige Begrüßung und einen intensiven Kontakt mit den Bewohnern von Prizren. Der Terminkalender der 31 Prizren-Reisenden war prall gefüllt und neben dem obligatorischen Stadtrundgang in Begleitung der Task-Force der Bundeswehr umfasste das Programm Besuche des Kindergarten, der Schule und im Krankenhaus. Wertvolle Fäden der Freundschaft und Kontakte konnten geknüpft werden, darauf aufbauend die Partnerschaft mit neuem intensivem Leben erfüllt werden kann.
Daran anknüpfend konnte auf Einladung der Stadt Bingen der erste Gegenbesuch von 20 Schülerinnen und Schülern sowie zwei Lehrerinnen des Gymnasiums Gjon Buzuku und 2 Erzieherinnen des einzigen Kindergartens in Prizren vom 25. April bis 4. Mai 2001 in Bingen erfolgen. Während des Aufenthaltes in Prizren wurde eine Schulpartnerschaft zwischen dem Gymnasium und der Realschule begründet und dieser Gegenbesuch diente der Intensivierung der jungen Freundschaft zwischen den Schülerinnen und Schülern beider Einrichtungen.
Den Teilnehmern wurde ein reichhaltiges Programm geboten. Neben der Teilnahme am Unterricht fanden die Fahrten ins Mittelrheintal, nach Mainz, zum Niederwalddenkmal, sowie verschiede Betriebsbesichtigungen, Stadtführung, Tanzveranstaltungen, Begegnungsfest und ein Empfang bei der Oberbürgermeisterin großen Anklang. Dementsprechend positiv fiel denn auch die Bilanz des Austausches statt. Ein Schüler aus Prizren umschrieb den Aufenthalt mit den Worten "Dies waren die wichtigsten Tage meines Lebens".
Am 5.5.2002 machten sich 20 deutsche Schülerinnen und Schüler sowie 2 Lehrerinnen zum Gegenbesuch nach Prizren auf. Die Teilnehmer der Reise waren dabei erstmals in Gastfamilien untergebracht, wodurch sie einen direkten Eindruck vom kosovarischen Alltag einer Familien erhielten. So lernten sie auch zum ersten Mal, was es bedeutet, wenn Strom- und Wasserversorgung nicht immer gewährleistet sind und man sich mit Kerzen, Generatoren oder offenem Feuer behelfen muss. Beeindruckt waren die Besucher vor allem von der enormen Gastfreundschaft, die ihnen während des gesamten Aufenthaltes entgegengebracht wurde.
Ein umfangreiches Programm ermöglichte den Schülern, Land und Leute kennen zu lernen. So waren sie, außer in Prizren, in der Hauptstadt des Kosovos, Pristina, und bummelten durch die Basare der Stadt Peja. Ein Besuch der Kellerei Kosovavera, deren Wein nun wieder von der Binger Firma Racke unter dem Namen "Amselfelder" vermarktet wird, und ein Ausflug zur Tropfsteinhöhle Gadima und den warmen Quellen und Wasserfällen des Flusses Drini Bardh gehörten ebenso dazu.
Die Landschaft um Prizren erinnerte unwillkürlich an das Allgäu und ein Skilift aus Titos Zeiten zeigte, dass sogar den Freunden des Wintersports in den schneereichen Wintern des Kosovos die Möglichkeit gegeben ist, die Hänge im Nationalpark Sara herabzuwedeln. Bei erheblichen Verbesserungen der Infrastruktur und sicheren Verhältnissen hätte die Tourismusbranche sicher eine Zukunft. Die Zerstörungen durch den Krieg, so der Eindruck der Schülerinnen und Schüler, sind kaum noch zu erkennen, wenngleich durch die permanente Überwachung von Straßen und vor allem Kirchen durch die Soldaten der KFOR die Erinnerung allgegenwärtig ist.
Zur einer Kurzvisite war Oberbürgermeisterin Birgit Collin-Langen während des Austausches ebenfalls nach Prizren gereist. Neben zwei Treffen mit den Teilnehmern in der Schule und im Kulturhaus, wo sie jeweils sehr herzlich von den Gastgebern und Gästen empfangen wurden standen für sie Gespräche mit dem Kommandeur der multinationalen Brigade Süd und dem erstmals direkt gewählten Bürgermeister der Stadt Prizren, Egrem Kryezin, und Vertretern des Stadtrates auf dem Programm. Dabei wurde vor allem in den Gespräch mit dem Kommandierenden General Alois M. Bach sehr deutlich, dass es noch eine lange Zeit beanspruchen wird, ehe ein geordnetes friedvolles Zusammenleben möglich sein wird. So war er sich sehr sicher, dass die deutschen Friedenstruppen bestimmt noch 30 Jahre in dem von Krieg und ethnischen Auseinandersetzungen geschundenen Land werden bleiben müssen, damit das Kosovo nicht erneut in Chaos verfällt.
Auch bei dem Treffen mit der Spitze der Stadt Prizren wurde deutlich, dass man zwar ein großes Interesse daran hat, die Stadt in allen Belangen voranzubringen und für eine funktionierende Infrastruktur zu sorgen, man sich aber der Grenzen bewusst und davon überzeug ist, dass es ohne internationale Hilfe wohl noch lange nicht gehen wird.
So blieben denn auch am Ende dieser Reise in den Kosovo vielen Fragen der Oberbürgermeisterin offen, wie es im Kosovo weitergehen wird. Wichtig ist es daher, die Binger Hilfe auf Kinder und Jugendliche zu konzentrieren, um ihnen eventuell eine kleine Perspektive geben zu können. Dazu zählte auch die finanzielle Unterstützung für die Neugestaltung der Fensterfront des Kulturhauses, welches eine der wichtigsten Integrationsfaktoren der ganzen Region darstellt. Die vorbehaltlose Nutzung durch alle Menschen und Vereine, gleich, welcher Volksgruppe bzw. Ethnie sie angehören, trägt sehr zum vorbehaltslosen Miteinander aller Menschen bei. Die Zahl von 42 Veranstaltungen im Durchschnitt pro Monat unterstreicht die Bedeutung dieses Gebäudes für die Partnerstadt.
Für die Teilnehmer am Schüleraustauschprogramm war es eine überwältigende Erfahrung und sie waren gerührt von so viel Freundschaft, Offenheit und Warmherzigkeit. So traten die Schülerinnen und Schüler die Heimreise - vollbepackt mit Eindrücken und Gastgeschenken - denn auch mit einem weinenden Auge an, verbunden mit dem großen Wunsch, die neu gewonnen Freunde alsbald wiederzusehen. Im Rahmen des Bürgermeistertreffens im Rathaus von Prizren hatte Oberbürgermeisterin Collin-Langen bereits auf die Frage, ob sie das Austauschprogramm weiterführen und unterstützen wolle, eine Fortführung des völkerverbindenden Austausches zugesagt . In diesem Jahr kommen daher die Schülerinnen und Schüler aus Prizren zum Gegenbesuch nach Bingen, um über alle Grenzen hinweg die menschlichen Kontakte zu vertiefen und eine lebendige Partnerschaft wieder heranwachsen zu lassen.
Projektübersicht
Gymnasium
Erweiterung und Instandsetzung Heizungsanlage
Ausbau Biologielehrsaal und Ausstattung
Renovierung Chemielehrsaal und Ausstattung
Sportgeräteausstattung
Unterrichtsmittel (Tafeln, Flipcharts, Overheadprojektor etc.)
Feuerwehr
Fahrzeuge (1 TLF 24/50, 1 LF 16, 2 TSF, 1 AL 18)
Bekleidung
Ausrüstung
Anbau Fahrzeuggarage
Erweiterung und Instandsetzung Heizungsanlage
Kindergarten
Anschaffung Elektrogeräte
Ausstattung mit Mobiliar
450 Paar Winterschuhe für die Kinder
Ankauf Generator und Brennstoffe für die Heizung
Gehaltszahlungen zur Aufrechterhaltung des Betriebes
Krankenhaus
Errichtung Erweiterungstrakt Ambulanz einschl. Elektrizitäts- und Wasserinstallation
Renovierung u. Erweiterung der Aufnahme
Herstellung eines Intensivraumes
Renovierung der Stationsräume der Internen Abteilung
Bereitstellung von Krankenbetten und medizinischem Gerät
Bergdorf Gorozup
Versorgung der Dorfbevölkerung mit Winterbekleidung
Beschaffung eines Traktors mit Anhänger für die Feldarbeit
Bau der Schule in Zusammenarbeit mit World Vision und der Rhein-Zeitung
Sonstige Maßnahmen
Übernahme von Behandlungskosten für schwer erkrankte Kinder
Unterstützung von bedürftigen Familien mit Winter- und Regenbekleidung, sowie Schuhen
Instandsetzung Kulturhaus Prizren
Eine Kurzreise ins Kosovo - persönliche Eindrücke
Ein Reisebericht der Eheleute Hans Peter und Gerhild Steudel.
Spendenkonto
Prizren-Hilfe
Konto-Nr. 10101616 bei der Sparkasse Rhein-Nahe, BLZ 560 501 80