Die Binger Weine und Rebflächen vor knapp 100 Jahren

Die Binger Weine und Rebflächen vor knapp 100 Jahren

Cover des Buches Die Rheinweine Hessens aus dem Stadtarchiv Bingen am RheinAuch, wenn wir dieses Jahr auf ein Winzerfest verzichten müssen, wie wir es seit Jahrzehnten gewohnt sind, so bleibt Bingen doch in der Kontinuität einer jahrhundertealten Weinstadt.
Es geht weiter – so, wie es seit vielen Jahrhunderten auf den ausgedehnten Binger Weinbergsflächen passiert.

Allerdings, auch hier hat ein deutlicher Wandel stattgefunden. Um 1900 gab es im heutigen Stadtgebiet 704 Hektar Weinberge, 1950 hatte sich die Anbaufläche auf 10.593 Hektar und 1981 sogar auf 21.245 Hektar Weinberge erhöht. Ein rasanter Anstieg, der allerdings ausschließlich in den heutigen Stadtteilen vonstattenging, denn in der Innenstadt selbst ging die Weinbergsfläche zurück. Sie ist einer Wohnbebauung gewichen, und später auch der Verödung der Terrassenanlagen am westlichen Rand, da diese sich kaum maschinell bearbeiten lassen.  

Daten aus dem früheren 20. Jahrhundert zeigen diese Entwicklung in Bingen und den Vororten, die damals noch selbstständige Gemeinden waren.

 

Um 1900

Um 1925

Innenstadt

151 ha

117 ha

Büdesheim

236 ha

388 ha

Kempten

117 ha

138 ha

Gaulsheim

k. A.

35 ha

Dietersheim

26 ha

45 ha

Sponsheim

13 ha

25 ha

Dromersheim

174 ha

220 ha

Insgesamt

704 ha

968 ha

Zur Tabelle: Die Werte um 1900 stammen aus dem Buch „Rheinhessen in Vergangenheit und Gegenwart“. von Brilmayer, Karl Joseph: Würzburg 1905 und jene um1925 aus „Die Rheinweine Hessens“ vom Hessischen Weinbau-Verband; Mainz 1927, 2. Auflage. Letzteres ist im Bestand der Bibliothek des Stadtarchivs.

Die Rheinweine Hessens

Bingen und Rheinhessen waren ab 1816 Teil des Großherzogtums Hessen-Darmstadt, ab 1919 des Volksstaats Hessen. Es war dessen linksrheinische Provinz. Aus dieser Zeit hat unsere Region den Namen Rheinhessen.

Das Buch beginnt mit einer kurzgefassten historischen Beschreibung der Region und ihrer Städte und geht auf die hessische Weinproduktion sowie hessische Weininstitutionen ein. Das Buch ist auch online abrufbar:  https://www.dilibri.de/rlb/content/titleinfo/497922.

Bingen (Innenstadt) in Die Rheinweine Hessens von 1927Herzstück des Buches ist die alphabetische Auflistung der weinbautreibenden Gemeinden in Rheinhessen und an der Bergstraße, bevor es dezidiert auf die Bodenbeschaffenheit der Region eingeht. Die Beschreibungen enthalten jeweils einen kurzen Steckbrief der Lagen und der dort angebauten Traubensorten. Ergänzt wird der Eintrag um einen historischen Abriss und deren Weinkultur. Der Steckbrief für Bingen bezieht sich nur die heutige Innenstadt.

Weinbaufläche

  • Innenstadt: 115,5 ha Weißwein, 1,8 ha Rotwein
  • Büdesheim: 300 ha Weißwein, 88 ha Rotwein
  • Gaulsheim: 35 ha, hauptsächlich Weißweine
  • Kempten: 138 ha, fast nur Weißwein
  • Dietersheim: 38,5 ha Weißwein, 6,5 ha Rotwein
  • Sponsheim: 17 ha Weißwein, 8 ha Rotwein
  • Dromersheim: 220 ha, fast ausschließlich Weißwein


Lagen

Hinweis: Der Name der Lage Eisel weißt auf den hohen Eisengehalt im Boden hin. In mittelalterlichen Urkunden wird die Lage auch ad ferrum (an dem/zum Eisen) genannt.

Innenstadt
Eiselberg, Schloßberg, Schwätzerchen, Rochusweg, Mainzerweg, Ohligberg, Rochusberg und Rosengarten
Büdesheim
Weißwein: Scharlachberg, Steinkautweg, Schnackenberg, Ackere, Heußling, Setzling, Karsborn, Bubenstück. Rotwein: Schießgraben, Langestein, Salzflecken, Estergewann, Schwarzgewann
Gaulsheim
Zirnberg, Feldgraben
Kempten: [Die Weißweinlagen sind hier zusätzlich in Klassen eingeteilt]
1. Klasse: Kempter Weg mit Schnack, Gänsberg, Kirschberg, Langenberg, Wolfskraut als Unterlagen. 2. Klasse: Mauer, Hofwingert, Lies, Treffelsheim, Mörderhölle. 3. Klasse: Leimerich, Lämpe, Kautz, Brahe, Grün, Krummgewann. Rotwein: Hagelkreuz.
Dietersheim
Weißwein: Auf den Steinen, Pfingstweide, Im Kohlgarten, In den Zeilen, In der Bachgewann, Auf der Kieskaut. Rotwein: Im Hafenpflock, Reiterwiesen, In der Muhl, Ober dem Streitstück
Sponsheim
[nicht genannt]
Dromersheim
Weißwein: Laberstall, Hütte, Hasenlauf, Proff, Böhl, Honigberg, Pflänzer, Kolben. Rotwein: Koch, Morgewann

Traubensorten

Hinweis: „Östreicher“ ist die alte Bezeichnung für Silvaner. Mit „Burgunder“ ist der Spätburgunder gemeint.

Eine Fotografie einer Rebe in der Binger Innenstadt, 1927Innenstadt
Riesling, Östreicher, Burgunder
Büdesheim
50% Östreicher, je 20% Riesling und Frühburgunder, 10% Portugieser
Gaulsheim
Östreicher
Kempten
65% Östreicher, 25% Riesling, je 5% Frühburgunder und Portugieser
Dietersheim
je 25% Östreicher, Portugieser, Kleinberger [heute sehr selten], je 12,5% Riesling und Frühburgunder
Sponsheim
30% Frühburgunder, sonst Riesling, Östreicher, Kleinberger, Portugieser
Dromersheim
60% Östreicher, 20% Kleinberger, 7% Frühburgunder, sonst andere Sorten

Durchschnittlicher Ertrag

Innenstadt
Weißwein: 24 Hektoliter, Rotwein: 26 Hektoliter. "Als Maische wird wenig verkauft und was abgegeben wird, bleibt am Platze. Hauptsächlich werden die Wein bei den Versteigerungen veräußert."
Büdesheim
Weißwein: 6000 Hektoliter, Rotwein 3000 Hektoliter. "80 Prozent werden als Maische verkauft, von der zwei Drittel nach auswärts gehen."
Gaulsheim
Weißwein: 180 Hektoliter, Rotwein: 240 Hektoliter
Kempten
Weißwein: 4000 Hektoliter, Rotwein: 350 Hektoliter. "Ungefähr 65 Prozent werden als Mische nach auswärts verkauft."
Dietersheim
Weißwein: 600 Hektoliter, Rotwein: 85 Hektoliter
Sponsheim
[nicht genannt]
Dromersheim
Weißwein: 7500 Hektoliter, Rotwein: 300 Hektorliter. "60-70 Prozent werden als Maische nach auswärts verkauft."

Qualität des Weines

"Ein lauschiger Winkel" ist die Bildunterschrift und zeigt Bingen um 1925Innenstadt
"Die Qualität der Weine ist sehr verschiedene was auf die Mannigfaltigkeit des Bodens und der Lagen zurückzuführen ist. Die Lagen auf der Rheinseite, die Mainzerweg, Ohligberg, Rochusweg liefern die beliebten, zartduftigen Weine von mildem Ton und schöner Blume. Schloßberg und Schwätzerchen zeichnen sich aus durch eigenartige Blume und fruchtigen Geschmack. Die an der Nahe sich hinziehende Lage Eiselberg erzeugt einen Besonders würzigen und gehaltvollen Tropfen, der zu den edelsten Gewächsen Rheinhessens gerechnet wird. Sein hoher Wert zeigt sich besonders in der feinen Entwicklung auf der Flasche. In Bingen sind mehrere große Weingüter, die durch intensive Bewirtschaftung, späte Lese und mustergültige Kellerbehandlung wesentlich zu dem guten Ruf der Binger Weine beitragen."

Büdesheim
"Es sind rassige und hochfeine, selbständige Weine. Als einer der hervorragendsten Weinorte, sowohl seines hochfeinen Weißweins als auch seines vorzüglichen Burgunder-Rotweins wegen, ist Büdesheim am Scharlachberg anzuführen. Die berühmte Lage 'Scharlachberg' liegt am Südabhange des Rochusberges. Wenn man sieht, wie die Strahlen der Mittagssonne ihre Glut in diese Lage hineinsenden, begreift man, daß der Scharlachberger zu den feurigsten und edelsten Rheinweinen gezählt wird. Die übrigen Büdesheimer Weißweine werden als kräftige, reife Qualitäten von guter Art sehr geschätzt, und auch der Büdesheimer Rote, der in ansehnlichen Maßen produziert wird, ist beliebt."

Gaulsheim
"Die Weißweine sind Mittelweine."

Kempten
"Es sind schöne Weine mit angenehmem Charakter."

Dietersheim
"Die Weine sind reingärig, von flüchtiger, lieblicher Art und bei richtiger Kellerbehandlung schon nach einem Jahre flaschenreif."

Sponsheim
"Es sind reingärige, flüchtige Weine."

Dromersheim
"Es sind volle Weine."


Übrigens: Das Binger Schwätzerchen

Entgegen diverser Mythen ist das Schwätzerchen der Name einer alten Lage im Binger Stadtkern. Bereits 1471 ist diese urkundlich erwähnt als "am schwetzgin". Ob die Bezeichnung auf den Namen des Besitzers zurückgeht oder weil Wein „geschwätzig“ macht, ist nicht überliefert. Seit 1951 ist es der Name der Binger Weinkönigin. Autogrammkarten und Fotos aus den ersten Jahren der Majestätinnen füllen einen ganzen Ordner im Stadtarchiv.